Bereit, deine eigene Horrorgeschichte zu erzählen? Denn genau darum geht es bei Man of Medan, dem ersten Teil der Dark Pictures Anthology vom Entwickler Supermassive Games und Publisher Bandai Namco Entertainment.
Ein harmlos scheinender Tauchausflug nimmt eine unerwartete Wendung, die eure fünf Protagonisten in einem klassischen Geisterschiff-Szenario in ernsthafte Schwierigkeiten bringt. Wer im Lauf der Geschichte lebt oder stirbt, liegt allein in eurer Hand!
Alles dreht sich um eure Entscheidungen
Kommen wir direkt zum Punkt: Bei diesem Spiel dreht sich alles um eure Entscheidungen und deren Konsequenzen! Und wenn wir alles sagen, dann meinen wir wirklich alles! Selbst die Geschichte, die für dieses Spiel als Rahmen dient und von einer wahren Begebenheit inspiriert wurde (Stichwort: „Ourang Medan“).
Diese Fokussierung auf Entscheidungen und deren Auswirkungen ist für dieses durchaus außergewöhnliche Spiel Fluch und Segen zugleich.
Fluch, denn die eigentliche Handlung des Spiels fällt mit einer Spielzeit von ca. 4-5 Stunden äußerst kurz aus.
Segen, denn jede Entscheidung hat das Potenzial nachhaltigen Einfluss auf das Schicksal unserer Protagonisten zu nehmen. Allerdings: den grundsätzlichen Verlauf der Geschichte können wir praktisch nicht beeinflussen.
Es gibt zwei Möglichkeiten auf das Spiel Einfluss zu nehmen. Entweder die aktive Entscheidung zwischen zwei Handlungs- bzw. Dialogoptionen, oder das Meistern von Quick-Time-Events. Die Arten der Konsequenzen, die sich aus euren Entscheidungen oder dem Abschneiden bei Quick-Time-Events ergeben, sind indes weitaus vielfältiger und machen den eigentlichen Reiz des Spieles aus.
Kurze Spielzeit, aber hoher Wiederspielwert
Wer die Lösung für das recht durchschaubare Mysterium der Hauptgeschichte nicht bereits nach kurzer Zeit von selbst durchschaut, sollte den Vorhang des Unbekannten spätestens nach seinem ersten Durchlauf gelüftet haben. Also nach ca. 4-5 Stunden. In allen folgenden Runden stellt sich also nichtmehr die Frage, was auf dem unheimlichen Geisterschiff vor sich geht, sondern einzig, wie sich eure Entscheidungen im Spielverlauf auf das Geschehen auswirken.
Ist das Spiel also nach dem ersten Durchlauf bereits ausgereizt? Die Antwort ist ein klares Jein. Das Spiel erzählt auch beim zweiten und dritten Durchlauf keine grundlegend neue Geschichte, doch eure Entscheidungen können ihren Verlauf jedesmal aufs neue nachhaltig verändern.
Im Extremfall entscheidet ihr unmittelbar über Leben oder Tod eurer fünf „Helden“, doch meist fallen die Auswirkungen eures Handelns weit subtiler aus. In vielen Fällen beeinflusst ihr beispielsweise die Beziehungen zwischen euren Charakteren, was unter Anderem zu neuen Dialogen führt. Andere Entscheidungen beeinflussen, auf welchen Weg sich eure Charaktere begeben, wodurch manchmal auch neue Areale erkundet werden können, die euch bisher verborgen geblieben waren. Oder ihr erkundet einen bereits bekannten Raum mit einem anderen Charakter, wodurch sich neue Ereignisse und Erkenntnisse ergeben können.
Die Kombinationsmöglichkeiten der Entscheidungsmöglichkeiten führt zu einer schier unendlichen Anzahl verschiedener Handlungsabläufe und Enden. Damit wird jede Runde zu einem äußerst individuellen Erlebnis.
Wie die Geschichte endet? Das hängt wie gesagt maßgeblich von euren Entscheidungen ab. Grundsätzlich bietet das Spiel vier Arten, wie das Spiel enden kann. Zwischen Happy End und absolutem Worst Case Szenario gibt es jedoch nochmals unzählige weitere Abstufungen.
Auch wenn Man of Medan also nicht jedesmal eine neue Geschichte erzählt, lädt es doch immer wieder dazu ein, mit den Entscheidungen und ihren Auswirkungen zu experimentieren.
Lerne mit deinen Entscheidungen zu leben
Wer nun meint, mit der guten alten Quicksave-Strategie ganz einfach zu seinem Wunschende zu gelangen, der wird schnell eines Besseren belehrt. Denn Man of Medan bietet weder eine Quciksave- noch eine sonstige Speicherfunktion an, die ihr vor einer Entscheidung einsetzen könnt. Eine möglicherweise ungewollte Auswirkung im Nachhinein zu revidieren, ist so praktisch nicht möglich.
Wer eine Entscheidung getroffen hat, der muss bis zum Ende des Spiels auch mit dieser leben. Erst dann gibt es die Möglichkeit über eine Szenenauswahl an einen bestimmten Punkt zurück zu springen und einen Fehler zu korrigieren, oder die Geschichte eurer Helden gezielt in eine andere Richtung zu lenken.
Dies führt zwar einerseits manchmal zu Frust, andererseits verleiht es jeder Entscheidung im Spiel auch enormes Gewicht. Ein falscher Klick bei einem Quick-Time-Event, eine falsch gewählte Dialog-Option und schon nehmen die Geschehnisse unter Umständen eine unerwartete oder gar ungewollte Wendung.
Kleinere Probleme mit Storytelling, Steuerung und Kamera
An sich folgt die Geschichte von Man of Medan dem klassischen Rezept für eine solide Horror-Geschichte. Man nehme:
- eine Gruppe Jugendliche mit sehr unterschiedlichen Charakterzügen
- einen gruseligen Schauplatz mit finsterer Vorgeschichte
- paranormale Erscheinungen
- einige Jump Scares
- ein grauenvolles Geheimnis
Dieses Rezept geht auch bei Man of Medan auf. Problem ist nur, wirklich neu ist es eben nicht. Und so kommt es vor allem auf die Präsentation der Geschichte an.
Die Vielzahl an Entscheidungen ist, sicher eine große Stärke, doch hat das Spiel auch einige Probleme. Das komplexe Storytelling von Man of Medan führt zu vereinzelten Fehlern bzw. Absurditäten im Spiel. Unter Umständen führt unser Charakter Selbstgespräche oder es scheinen kleinere Lücken in der Handlung aufzutreten.
Insgesamt sind diese Stolpersteine jedoch selten genug, um den Spielfluss nicht nennenswert zu beeinträchtigen.
Das Geisterschiff-Setting wurde hervorragend in Szene gesetzt. Beim Gang durch die engen und heruntergekommenen Korridore stellt sich ein Gefühl der Anspannung ein, bei dem wir hinter jeder neuen Ecke etwas schreckliches vermuten. Zudem wirkt das Setting glaubhaft und bietet eine detailliert gestaltete Umgebung, was zu einer guten bis sehr guten Immersion führt.
Ja, beim Setting macht das Spiel wirklich alles richtig. Allerdings bleiben im Vergleich zum geistigen Vorgänger „Until Dawn“ die Charaktere leider etwas blass. Die doch recht kurze Hauptgeschichte lässt kaum Zeit für eine echte Charakterentwicklung und auch unsere Entscheidungen, beispielsweise in den Dialogoptionen, können nur wenig an unserer Sicht auf die einzelnen Personen ändern. Dazu bleibt nach der kurzen Einführung einfach nicht mehr genug Gelegenheit. In Kombination mit einer relativ durchsichtigen und recht kurzen Hauptgeschichte geht hier leider einiges an der wünschenswerten Tiefe verloren.
Etwas lästig sind zudem die hakelige Steuerung, die nicht immer optimale Kameraführung und die vereinzelt fast unvorhersehbaren Quick-Time-Events. Gerade letztere waren für uns teils erst beim dritten Anlauf zu bewältigen, als wir sie anhand unserer fortgeschrittenen Spielerfahrung bereits kommen sahen.
Der „Mehrspielermodus“ der keiner ist
„Mehrspielermodus“ muss man bei Man of Medan tatsächlich in Anführungszeichen setzen, denn ja, man kann es mit mehreren Freunden Spielen, das Spielerlebnis bleibt im wesentlichen jedoch das selbe. Egal ob online mit Freunden im Koop oder Zuhause im „Filmabend“-Modus, die spielbaren Charaktere werden einfach nur unter allen Teilnehmern aufgeteilt. Anschließend wird der Controller herumgereicht, in Abhängigkeit davon, welcher Charakter gerade aktiv ist. Faktisch ist der Multiplayer also nicht viel mehr als der Singleplayer mit kurzen Unterbrechungen und kapitelweiser Bewertungen der Handlungsweisen der einzelnen Spieler.
Insbesondere der Filmabend-Modus vor dem heimischen Gerät hat das Potenzial für einen unterhaltsamen Abend mit Freunden. Ein großer Mehrwert ergibt sich durch die Mehrspieler-Modi aber letztlich nicht.
Wie gut ist Man of Medan? Unser Fazit
„Was wäre, wenn?“ ist wohl die entscheidende Frage, die den Spielspaß bei Man of Medan ausmacht. Was wäre, wenn ich diesen einen Quick-Time-Event geschafft hätte? Was wäre, wenn sicher der eine oder andere Charakter in den Dialogen ganz anders verhalten würde?
Trotz der kurzen Spielzeit der Hauptgeschichte und obwohl ich bereits mehrere Durchgänge hinter mir habe, treibt mich die Frage „Was wäre, wenn“ doch immer wieder dazu an, noch einmal andere Verhaltensweisen auszuprobieren. Und bislang gab es bei jedem Durchlauf etwas neues zu entdecken, wofür sich die Mühe lohnte.
Das Spiel lebt also vor allem von der Freude am Experimentieren. Denn die eigentliche Geschichte ist zwar gut inszeniert, bleibt letztlich jedoch Standard-Kost mit etwas zu wenig Tiefgang. Wer diese Experimentierfreude nicht teilt, für den wird das Spiel bereits nach dem ersten Durchgang weitestgehend uninteressant werden. Bei den zahllosen Varianten und Enden, die Man of Medan bietet, hat es nach meiner Meinung jedoch einen sehr hohen Wiederspielwert und verdient in jedem Fall auch einen zweiten Blick.
„Was wäre, wenn“, diese Frage lässt mich bei Man of Medan einfach nicht mehr los! Trotz einiger Schwächen: Selten hat mich ein Spiel so tief in seine Geschichte hinein gesogen. Ich freue mich auf die Fortsetzung der Dark Pictures Anthology.
Lust auf mehr von der Dark Picture Anthology? Dann lest auch unseren Test zu Little Hope oder unseren Test zu House of Ashes.
Positiv
- Sehr viel Entscheidungsfreiheit
- Ansprechende Grafik
- Tolles Setting
- Sehr hohe Immersion
- Hoher Wiederspielwert
Negativ
- Kurze Hauptgeschichte
- Hakelige Steuerung
- Mehrspieler ohne echten Mehrwert
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