Schwarzer Humor oder Killerspiel? Wenige Spiele bewegen sich so hart an dieser Grenze wie die Titel der Postal Reihe. Dennoch oder vielleicht gerade deswegen haben die Spiele eine Fangemeinde und sogar eine Verfilmung durch Regisseur Uwe Boll erhalten.
Seit Oktober 2019 befindet sich der jüngste Teil der Reihe, Postal 4: No Regerts von Running With Scissors, in der Alpha Phase und hat erst kürzlich mit dem „Wednesday“ Update eine größere Erweiterung erfahren. Wir haben die Gelegenheit genutzt, um uns ein Bild vom Zustand des Spiels zu machen und der Frage nachzugehen, ob sich Postal 4 auf dem Weg zum Killerspiel befindet oder lediglich die Grenzen des schwarzen Humors ausreizen will.
Aus Gründen des Jugendschutzes verzichten wir im Rahmen dieses Beitrages bewusst auf Screenshots, in denen die beschriebenen Gewaltdarstellungen gezeigt werden.
Worum geht es in Postal 4?
In Postal 4: No Regerts schlüpfen wir einmal mehr in die Rolle des Postal Dude. Nachdem uns unser Wohnwagen abhanden gekommen ist, stranden wir in dem kleinen Örtchen Edensin. Um hier über die Runden zu kommen, machen wir uns zunächst auf die Suche nach einer Arbeit. Wir hangeln uns von einem lausigen Job zum nächsten, erfüllen dabei teils sehr zweifelhafte Aufgaben und geraten auch in die Dienste des organisierten Verbrechens.
So verdingen wir uns beispielsweise als Gefängniswärter, reinigen verstopfte Abflussrohre in der Kanalisation oder führen als Tierfänger freilaufende Katzen und Hunde einer zweifelhaften Bestimmung zu. Nebenbei können wir uns sogar als Aushilfsfeuerwehrmann versuchen.
Teilweise gibt es kleine Umgebungsrätsel zu lösen. So müssen an Schalttafeln Codes eingegeben werden, um Türen zu öffnen oder zu schließen, oder wir müssen Kisten platzieren, um unzugängliche Orte erreichen zu können.
Die Geschichte und auch unsere einzelnen Aufgaben werden immer wieder in Form von Zwischensequenzen, teils im Comic-Stil, Rendersequuenzen oder in Ingame-Grafik erzählt. Dabei ist der Postal Dude nicht auf den Mund gefallen und, wie im gesamten Rest des Spiels, auch nie um einen provokanten Spruch verlegen.
Die Szenerie stellt sich immer wieder recht unterschiedlich dar. So erinnert ein Areal der Open World an eine amerikanische Kleinstadt, ein anderes an einen mexikanischen Ort und auch in einer Westernstadt finden wir uns wieder.
Zwischen den verschiedenen Arealen der bislang relativ überschaubaren Spielwelt bewegen wir uns entweder per Schnellreise mit der U-Bahn oder mit den überall bereitstehenden Scootern.
Unsere ständigen Begleiter sind ein stetig wachsendes Waffenarsenal und die eine oder andere leistungssteigernde Droge. Neben klassischen Stich- und Schusswaffen können wir auch auf einige ungewöhnliche Mordwerkzeuge zurückgreifen. Etwa eine zum Flammenwerfer umgebaute Wasserpistole oder einen Taubenkäfig, der wie eine Granate eingesetzt werden kann.
Wo kommt die Gewalt ins Spiel?
Ähnlich wie in GTA können wir auch in der Welt von Postal 4 nach Belieben von unseren Waffen Gebrauch machen und eine Gewaltorgie beginnen. Diese Entscheidung obliegt jedoch einzig dem Spieler, auch wenn Postal 4 uns zahlreiche Tötungswerkzeuge an die Hand gibt.
Der Einsatz von Gewalt ist in den Story-Missionen gerade zu Anfang kaum notwendig. Mit der Zeit findet hier jedoch ein Wandel statt und so werden gewaltsame Lösungen zuerst eine logische Option und im weiteren Verlauf praktisch unvermeidlich.
So haben wir beispielsweise die Wahl, die Kosten für einen Strafzettel abzubrummen, indem wir unsererseits zahlreiche Strafzettel für Falschparker ausstellen oder uns kurzerhand dazu entschließen, uns mit einem ganzen Polizeirevier anzulegen. Da sich das Ausstellen der Strafzettel als äußerst Mühsam und unglaublich zeitintensiv herausstellt, ist die Versuchung groß unsere Hemmungen fallen zu lassen und doch die Schrotflinte zu zücken.
Spätestens aber, wenn unzählige Gegner mit Schusswaffen versuchen uns von unseren weiteren Vorhaben abzuhalten, wird der Gewalteinsatz praktisch unvermeidlich. Dabei richten wir unsere Aggression allerdings nicht gegen unschuldige Zivilisten, sondern gegen ihrerseits aggressiv auftretende Wiedersacher.
Damit fördert Postal 4 den Einsatz von Gewalt gegen Unschuldige zunächst nicht mehr und nicht weniger als die meisten anderen Action-RPGs. Allerdings setzt es ihr deutlich weniger Grenzen. Denn Mechaniken, die ein Massaker an der Zivilbevölkerung verhindern könnten, sucht man hier im Gegensatz zu vielen anderen Spielen vergeblich. Zwar tritt auch hier die Polizei als Ordnungshüter auf, ist jedoch kaum in der Lage, einem motivierten Amokläufer Einhalt zu gebieten.
Hinzu kommt der ungewöhnlich exzessive Einsatz von Blut. Insbesondere aus explodierenden Köpfen schießen gewaltige Fontänen, die den Spieler und die Umgebung rot färben. Gedärme, abgetrennte Gliedmaßen und Köpfe, im Todeskampf brennend über den Boden kriechende Menschen: Postal ist wirklich nicht zimperlich.
Daneben ist es uns möglich von obszönen Gesten Gebrauch zu machen und die Spielwelt in beliebiger Menge mit Urin zu überziehen. Es gibt also einige Aspekte, die mit Fug und Recht als geschmacklos bezeichnet werden können.
Der technische Zustand von Postal 4 (Stand Februar 2021)
Als „Slightly less janky Alpha“ (engl. für etwas weniger schrottige Alpha) wird der aktuelle Stand von Postal 4 scheinbar scherzhaft von seinen Entwicklern beschrieben. Tatsächlich mag die aktuelle Version (0.3.1.0) vielleicht etwas weniger schrottig sein, dennoch sind noch mehr als genug Probleme zu lösen. Nur ein paar Beispiele der Bugs und Probleme, auf die wir während unseres Tests gestoßen sind:
- Lange Ladezeiten zwischen den Arealen
- Beginnt man eine Sammelaufgabe und verlässt zwischenzeitlich ein Areal, wird die Mission zurück gesetzt
- Unvorhersehbare Abstürze
- Fehlende Kletteranimationen in der 3rd Person Ansicht
- Extrem schlechte Fahrphysik der Scooter
- Viele Gebäude sind kaum oder gar nicht möbliert
- …die Liste ist nicht abschließend
Einzelne Bugs sind so schwerwiegend, dass das Zurückgreifen auf einen früheren Speicherstand die einzige Möglichkeit ist, das Spiel noch fortzusetzen.
In Kombination mit der mehr als nur eingestaubten Optik, die eher an ein 17 Jahre altes Halflife 2, als an ein modernes Open World Spiel erinnert, präsentiert sich Postal 4 nicht gerade beeindruckend.
Fazit
Kann man Postal 4: No Regerts ohne schlechtes Gewissen spielen? Nach meiner Meinung lautet die Antwort: Ja, auch wenn es sicher keine Perle in der Steam-Bibliothek werden wird. Aber würde ich es meinen Freunden zum spielen empfehlen? Hier lautet die Antwort für mich persönlich: Nein!
Postal 4: No Regerts ist sicher kein reinrassiges Killerspiel aber in verschiedener Hinsicht zumindest grenzwertig. Ob und wie heftig Gewalt eingesetzt wird, diese Entscheidung obliegt ähnlich wie in GTA überwiegend dem Spieler selbst. Dennoch hätte man ruhig ein paar Grenzen ziehen können. Und obwohl exzessive Gewalt für das Abschließen der Story nicht notwendig ist, so wird ihr Einsatz in den Trailern zum Spiel doch sehr deutlich in den Vordergrund gerückt. Postal 4: No Regerts rückt die Möglichkeit zum Einsatz sinnloser Gerwalt also sehr bewusst in den Vordergrund.
Zum jetzigen Zeitpunkt werden die Spieler im Spiel aber weder aktiv aufgefordert sich wie die Axt im Walde zu benehmen, noch ist das reihenweise Töten von unschuldigen Zivilisten Teil des Spielziels. Andererseits wird ein solches Verhalten aber eben auch nicht ernsthaft sanktioniert und dadurch, in Kombination mit den provokanten Trailern, auch bewusst provoziert.
Mit seiner Obszönität, dem unverhohlenen Einsatz von Drogen und der teils exzessiven Gewaltdarstellung, ist das Spiel definitiv nicht für Minderjährige geeignet. Auch wenn der derbe Humor durchaus unterhaltsam sein kann, werden die Grenzen des „guten“ Geschmacks mehr als einmal ausgetestet.
Technisch ist Postal 4 noch weit von einem fertigen Spiel entfernt, wie es von einer Alpha auch nicht anders zu erwarten ist. Sowohl Steuerung als auch Grafik wirken allerdings schon heute vollkommen überholt und erinnern eher an Spiele, wie sie noch vor 15 Jahren üblich waren.
Postal kann man mögen, muss man aber nicht.
Positiv
- Abwechslungsreiche Areale
- Der Postal Dude
Negativ
- Veraltete Grafik
- Grenzwertige Gewaltdarstellung
- Teils schwerwiegende Bugs
Es gibt noch keine Kommentare.